Puck und das Geheimnis der Unsichtbarkeit.

Puck sitzt am Waldrand und hört den Vögeln zu.

Seit einigen Tagen zwitschern und schimpfen die Stare wieder, die scheinbar viel zu früh von ihrem Winterausflug

zurückgekommen sind. Eigentlich ist der Winter noch gar nicht vorüber.

Dick graue Wolken hängen über dem Land, es ist kalt und nieselt und die Feuchtigkeit kriecht in Pucks Fell.

Er schüttelt sich. Bewegung! Bewegung wäre jetzt gut.

Doch Puck hat Elli versprochen, hier am Auto auf sie zu warten, bis sie zurückkommt.

Ein fremder Wald, ein unbekanntes, brach liegendes Feld, das bis zum Horizont reicht. In der Nähe ein großes Gehöft,

in dessen Toreinfahrt Elli verschwunden ist.

„Dauert nicht lange, versprochen!“, sagte sie vor einer gefühlten Ewigkeit.

Puck beginnt im Hopselauf um das Auto herum zu springen. Ein bisschen wärmer wird ihm, also beschleunigt er seine Sprünge.

Als er gerade im vollen Tempo um das Auto düst, kommt Elli zurück.

Puck macht eine Vollbremsung, stolpert über seine Vorderbeine, macht einen Purzelbaum und kommt auf seinem Po zum Sitzen, direkt vor einem sehr großen, braunen haarigen Ding, welches mit Elli von diesem Hof gekommen ist.

Als Puck hochschaut, sieht er in riesengroße Nasenlöcher, dahinter einen langen Kopf und große, braune Augen, die ihn neugierig betrachten. Spitze, plüschige Ohren sind ihm konzentriert zugewandt.

Das Ding schnuppert an ihm, ganz dicht, und Puck drückt sich platt wie eine Flunder an den Boden,

da er nicht weiß, was er sonst tun soll.

„Elli?....Was ist das? Kannst du das wegmachen?“, stottert Puck verwirrt.

Elli tippt das große Tier am Hals an.

„Peter, lass ihm Zeit, das ist zu schnell, du machst ihm Angst!“

Dieser schnuppert noch einmal an Puck, schüttelt dann den riesigen Kopf und schnaubt, für Puck völlig unerwartet,

mit voller Kraft Luft und ein bisschen Schnodder aus der Nase, so laut, wie ein Drache.

Aus den Liegen springt Puck vor Schreck einen Meter in die Höhe, flitzt davon und bringt sich hinter dem Auto in Sicherheit,

wo er sich den Schnodder aus dem Fell wischt.

„Er ist ein bisschen schüchtern“, erklärt Elli Pucks Verhalten.

„Was machen wir heute? Und was sollen wir mit diesem Angsthasen anfangen?“, fragt Peter.

Elli schaut zum Auto, hinter dem Puck seitlich sehr vorsichtig hervorlugt.

„Lass uns spazieren gehen. Ich denke Puck kennt noch keine Pferde. Du scheinst das erste Pferd zu sein, welches er sieht.

Warte ab, du wirst ihn mögen, wenn ihr euch erst einmal besser kennt. Er kann sehr gut spielen und flitzen,

und er ist schlau, witzig und nett.“

Elli führt das Pferd an einem Halfter am Auto vorbei, wobei es so aussieht, als bräuchte sie den Strick, der an dem Halfter am Pferdekopf festgemacht ist, nicht. Peter schlendert, die Gegend betrachtend, entspannt neben ihr her.

„Komm mit, wir gehen spazieren!“, ruft Elli Puck zu, als sie sich mit Peter am Feldrand entlang Richtung Wald entfernt.

Puck folgt im sicheren Abstand, halb ängstlich, halb neugierig.

Die Wolkendecke bricht auf und einige zögerliche Sonnenstrahlen sind zu sehen.

Der Wind schiebt die Wolken immer weiter beiseite, und bald liegen Wald und Feld in strahlendem Sonnenlicht.

Elli bleibt stehen, reckt ihren Hals gen Sonne, geht zum Waldrand, lehnt sich an einen Baum und schließt genüsslich die Augen.

Peter und Puck betrachten zeitgleich den Baum, die Sonne, das Feld.

Und ebenfalls zeitgleich scheinen sie dieselbe Idee zu haben. „Flitzen?“, fragt Peter so leise, dass Elli es nicht hören kann.

Pucks Augen funkeln. “Warum nicht!“

Und im nächsten Moment zieht Peter mit einem Ruck den Strick, der nur locker in Ellis Hand liegt aus dieser heraus, nimmt ihn zwischen die Zähne, und los geht die Wilde Jagd.

„Was....was soll das?“, fragt Elli erschrocken, denn damit hat sie nicht gerechnet.

Doch schon jagen Peter und Puck in gestrecktem Galopp über das Feld Richtung Horizont.

Elli läuft ihnen armwedelnd hinterher. “Wartet, halt, das ist nicht gut! Neeeeiiiin!“

Doch die beiden laufen, wie im Rausch.

Von Ferne sieht es so aus, als jagte ein Wolf ein Pferd übers Land, doch in echt hat Puck einige Mühe, mit Peters Geschwindigkeit Schritt zu halten. Und ein Wolf ist er nun auch nicht, aber das könnte ein Beobachter aus der Ferne nicht erkennen.

„Hey, langsamer, wir sind zu schnell für Elli, die kommt nicht mit:“, ruft Puck.

„Ach, für Elli ist volles Tempo immer zu schnell. Sonst trage ich sie durch den Wald, aber immer, wenn es mal richtig fetzig wird, schimpft sie, weil sie Angst hat, runterzufallen. So richtig schnell geht nur allein! Kannst du noch?“, und Peter

schaut im Laufen zurück, doch da sieht er Puck mit hängender Zunge pustend hinter ihm noch einmal richtig Gas geben. „Wettrennen! Wer zuerst auf der anderen Seite ist“, ruft Puck und will überholen.

Doch Peter ist ihm mit seinen langen Beinen immer einen Sprung voraus.  

Auf dem Feldweg vor ihnen, nicht mehr weit voraus steht ein anderes Auto.

 

Den Mann neben dem Auto, der Peter und Puck durch sein Fernglas beobachtet, bemerken sie nicht.

Als er die beiden immer näherkommen sieht, legt er mit zittrigen Händen sein Fernglas weg, nimmt ein Gewehr

von der Schulter und zielt auf Puck.

Ein Sonnenstrahl trifft das Zielfernrohr des Gewehrs, blendet Peter, und dieser bremst aus voller Geschwindigkeit ab,

so dass er mit seinen Beinen tiefe Furchen in den Boden gräbt.

Puck bremst mit dem bekannten Purzelbaummanöver, und ohne Worte weiß er, dass etwas nicht stimmt.

„Zurück! Lauf vor mir! So schnell du kannst!“ ruft Peter Puck zu, und dieser tut, wie ihm geheißen.“

Der Mann am Auto lässt ungläubig das Gewehr sinken. Für ihn scheint es, als jage nun das Pferd den Wolf.

„Das gibt es doch nicht!“, murmelt er zu sich selbst, nimmt ein Telefon aus der Tasche und beginnt aufgeregt hinein zu reden.

Als Peter und Puck zu Elli zurückkommen, steht diese mit in die Taille gestemmten Armen auf dem Feld.

„Was war das denn? Seid ihr denn völlig verrückt geworden? Ihr könnt doch nicht einfach so in der Welt rumflitzen,

wo euch alle sehen können! Das ist doch für Pferde nicht erlaubt! Das kann schlimmen Ärger geben.“

Sie schüttelt verärgert den Kopf.

„Warum sollen wir das nicht tun? Jedes Reh darf das, warum nicht Pferde? Und überhaupt, etwas Besseres habe ich noch nie gemacht! Das war wunderbar! Hast du gesehen, wie schnell wir waren?“ Peter strahlt stolz und stark im Sonnenschein.

Puck steht hechelnd neben Peter und schaut grinsend hoch zu seinem neuen Freund.

"Hast du das gesehen? Wir waren schnell wie der Wind. Das war fast wie fliegen!"

Doch Elli kann sich nicht mit Peter und Puck freuen.

In der Ferne sehen sie einen Polizeiwagen mit Blaulicht Richtung Waldrand fahren.

„Puck, du musst hier weg. Geh, verstecke dich im Wald. Ich werde dich später abholen.“

Puck ist verwirrt. „Warum, wieso? Was haben wir falsch gemacht? Wie willst du mich finden?“

Elli hockt sich zu ihm. „Mein Freund, ich erkläre es dir später, und ich finde dich immer! Hast du das schon vergessen?

Lauf nur und versteck dich gut! Ich komme, versprochen.“

Puck trottet mit hängendem Kopf davon, sieht sich zwischen den ersten Bäumen noch einmal um, schaut Peter für einen kurzen, ewigen Moment tief in die Augen, und verschwindet dann im Unterholz.

Peter und Elli stehen noch immer auf dem Feld, als das Polizeiauto immer näherkommt.

Dahinter fährt der Wagen von dem Mann, der mit seinem Gewehr auf Puck gezielt hat.

„Verdammt, wir sind zu weit entfernt vom Stall, wir können dich nicht unbemerkt zurückbringen und so tun, als wüssten wir von nichts.“ Elli schaut sich um, als suche sie nach einem Ausweg.

„Was wird passieren, wenn sie herkommen?“, fragt Peter unsicher.

„Erst einmal werde ich Ärger bekommen, und du musst zurück in den Stall. Hauptsache sie finden Puck nicht.

Freilaufende Hunde, Waldgeister oder gar Wölfe, die mit Pferden übers Feld flitzen, sind hier nicht vorgesehen.

Das verstehen die meisten Menschen nicht. Sie haben Sorge, dass jemand zu Schaden kommen könnte.“

„Aber ich will frei sein!“, sagt Peter entschieden. „Da im Stall wohnen nur Langweiler, und es ist viel zu wenig Platz,

um mal richtig zu rennen. Ich will nicht immer warten, bis du kommst.

Lass mich frei, und ich komme zu dir,  wenn du Zeit hast, und wir schlendern gemeinsam durch den Wald.

Und wenn du beschäftigt bist, flitze ich volle Kanne durch die Welt, so schnell ich kann. Etwas besseres gibt es nicht!“

Nun schaut Elli ihrem Pferd einen ewigen Moment in die Augen.

„Das meinst du ernst, oder?“, fragt sie ihn.

„Ja.“ Antwortet er, ohne etwas zu sagen.

„Erinnerst du dich an Merlin, den kleinen Zauberer?“, fragt Elli.

„Oh ja, der hat gut zu uns gepasst. Ich weiß noch genau, wie er gerochen hat.“

Elli fasst sich an die Brust. „Kannst du dich auch erinnern an das Geheimnis, dass er uns erzählt hat?“, fragt Elli.

Peter denkt einen Moment nach.

Das Blaulicht des Polizeiautos kommt immer näher.

„Ich weiß, was du meinst. Der Trick mit dem unsichtbar machen. Das ist eine gute Idee. Nein, nicht nur eine gute Idee, das ist die Lösung! Dann kann ich rennen, buckeln, wild sein, soviel ich will! Und ich kann bei dir sein, wenn ich will. Aber... es lässt sich nicht rückgängig machen. Ich kann dich dann nie wieder tragen. Das wäre schade.“

Peter senkt seinen Kopf zu Ellis Händen und schmiegt sich an.

Elli seufzt. „Dann muss ich wohl zu Fuß gehen, wie alle anderen. Das schaffe ich!“

Sanft streicht sie über seine Nüstern. „Danke, dass du mich getragen hast!“

Peter schnauft. „Danke, dass du mich geliebt hast!“

Eine Träne kullert über Ellis Wange. „Ich werde dich weiter lieben, wenn du nichts dagegen hast!“, flüstert sie.

„Du musst mich loslassen, damit ich verschwinden kann“, flüstert Peter.

Elli nimmt ihm das Halfter vom Kopf und streichelt ein letztes Mal über seine Stirn.

Als zwei Polizisten und der Jäger aus den Autos steigen und mit schnellen Schritten auf Elli zulaufen, wird das Pferd an

ihrer Seite immer blasser, fast durchsichtig, bis es einfach so ganz verschwindet.

Elli bleibt allein auf dem Feld zurück und schaut sehnsuchtsvoll in die Ferne.

Die zwei Polizisten laufen nun immer schneller, und als sie bei Elli ankommen, sehen sie schwer verwirrt aus.

„Wo ist es hin?“, fragen sie wie aus einem Munde.

Elli schaut verwirrt zurück.

„Was genau meinen sie?“, fragt sie mit Unschuldsmiene.

„Das Pferd! Hier war doch eben noch ein Pferd! Wo ist es hin?“

Sie sehen sich ratlos nach allen Seiten um.

„Also bitte, hier ist kein Pferd. In meiner Tasche...Moment mal...“Elli kramt in ihren Jackentaschen. “Nein, hier auch nicht.“

Sie zuckt mit den Schultern und will schon gehen, da ruft der Jäger: „Und der Wolf? Hier lief doch vorhin ein Wolf lang.

Den müssten sie doch gesehen haben!“

Elli schüttelt lächelnd den Kopf. „Ein Wolf, ein Pferd, vielleicht noch ein Drache...warum auch nicht. Nichts ist unmöglich.

Wenn sie den finden, sagen sie mir Bescheid bitte. Ich wollte schon immer mal einen Drachen aus der Nähe sehen.“

Sie dreht sich um und läuft langsam zu ihrem Auto zurück.

Noch lange stehen die Polizisten mit dem Jäger auf dem Feld und diskutieren, was da wohl

gerade geschehen sein mag.

Am Abend, nachdem Elli Puck aus dem Wald abgeholt hat, sitzen sie gemeinsam im Schaukelstuhl vor dem Feuer.

Puck leckt die Tränen weg, die über Ellis Wangen laufen.

Sie streichelt ihn, schnauft hin und wieder, doch es gibt wenig zu sagen.

„Wie schön, dass du da bist!“, sagt Elli.

„Peter hat mir gut gefallen“, antwortet Puck. „Er ist nicht ganz weg, oder?“

„Nein,“, antwortet Elli. „Nicht ganz. Aber ich kann ihn nicht mehr riechen, nicht anfassen, nie wieder das Gefühl haben, auf seinem Rücken und durch seine Kraft fast fliegen zu können. Das fehlt mir jetzt schon. Dafür muss ich dich nun noch etwas öfter streicheln. Wirst du das aushalten?“

Puck grinst Elli an. „Oh weh, da muss ich mir aber ganz schön Mühe geben!“ Und schon kuschelt er sich noch etwas näher an Elli an und schnauft zufrieden, als ihre Hände seinen Rücken kraulen.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Agata Bajerski (Dienstag, 20 Februar 2024 18:17)

    Wunderschöne Geschichte Ulli �
    Aber dass habe ich dir schon geschrieben
    Eine Verabschiedung der Herz bewegt ���