Puck und die grüne Jacke

Für Irina

 

Die ersten Schneeflocken des Winters tanzen lautlos durch die Luft und Puck hüpft glücklich durch den Wald und versucht sie mit der Zunge zu fangen.

Der Winter ist Pucks Lieblingsjahreszeit, so wie der Frühling auch. Und der Sommer. Ach ja, den Herbst mit seinen bunten Blättern und den nebelverhangenen Feldern liebt er auch ganz besonders. 

Eigentlich findet Puck immer etwas, was er mögen kann. Das passiert ganz von allein.

Im Haus am Kamin sitzt Elli in ihrem Schaukelstuhl und strickt, als Puck drinnen nach dem rechten schaut.

Ihre Hände bewegen sich schnell mit zwei langen Stöckchen, die sie scheinbar in schneller Folge immer kurz aneinander reibt. Ein Knäuel himmelblauer Wolle liegt am Boden und der Faden von dem Knäuel tanzt und verschwindet Stück für Stück zwischen ihren Händen.

"Was machst du da?", fragt Puck neugierig.

"Ich stricke eine  neue Jacke", erklärt Elli ohne von der Arbeit aufzuschauen.

Puck schaut ein Weilchen fasziniert zu. "Das sieht seht kompliziert aus. Sag mal, du hast doch schon eine Jacke.  Wozu machst du dir so viel Arbeit?"

Ellis Hände stricken immer weiter. 

"Ich will doch nicht immer gleich aussehen. Es schadet ja nicht, mehrere Jacken zu haben."

Puck grübelt. Er hatte noch nie Lust , anders auszusehen, als er eben aussieht.

Vielleicht muss ich das mal ausprobieren, mit dem anders aussehen, denkt er bei sich.

Und schon ist er unterwegs, im Zickzack durch den Wald auf der Suche nach einer Idee, wie er sein Aussehen verändern könnte.

Als er zurückkommt, riecht es im Haus ungewohnt. Schon an der Tür bemerkt Puck, dass Elli nicht allein ist. Er hört eine unbekannte Stimme. "Ich mache das doch genau, wie du gesagt hast... und doch sieht es ganz anders aus. Was mache ich denn falsch?", hört er jemanden fragen.

Elli murmelt: "Zeig mal her, das ist doch schon ganz schön, ach schau nur, hier ist ein kleiner Fehler..."

Vorsichtig schleicht Puck heran und lugt  um die Ecke um herauszufinden, mit wem Elli da spricht.

Eine junge Frau sitzt neben Elli am Feuer.

Sie  hat auch solche komischen Stöckchen in den Händen und sieht  diese an, als müsse sie ein sehr kompliziertes Rätsel lösen. Ihr braunes, glänzendes Haar ist zu einem Zopf gebunden.

Sie sieht sehr nett aus,  denkt Puck und hat ein warmes Gefühl im Bauch, als er sie beobachtet.

Langsam schleicht er näher heran, und als die Frauen ihn bemerken, unterbrechen sie ihre Arbeit. Beide reißen die Augen auf, als sähen sie etwas sehr Komisches.

"Oha, was  ist denn mit dir passiert?", fragt Elli voller Staunen. 

Doch Puck kann gar nicht antworten, er ist vollkommen damit beschäftigt, diese andere Frau zu betrachten, deren Augen scheinbar immer größer werden.

"Puck? Hallo? Was hast du  nur gemacht? Du siehst ja wie ein Frosch aus!", fragt Elli.

"Du hast gesagt, man muss auch mal anders aussehen. Das Moos an den Bäumen färbt ganz toll, wenn man sich daran rubbelt. Hast du das gewusst? " , antwortet Puck wie hypnotisiert von dem Anblick dieser anderen Frau.

Diese nimmt die Hände vor den Mund. Sie starrt Puck an und aus ihren großen, grünen Augen kullert eine dicke Träne über ihre Wangen. 

Jetzt macht Puck sich doch Sorgen.  

"Habe ich etwas falsch gemacht?", fragt er Elli verwirrt. "Sehe ich so gruselig aus?"

Elli lächelt. "Nein, nur sehr ungewöhnlich.", und sie wendet sich an die weinende Frau. 

"Ist alles in Ordnung meine Liebe?", fragt sie diese.

Ein kleines Schluchzen schüttelt deren Schultern. "Ich weiß nicht,...wieso ... also, wie kann jemand so, so... sein?", und sie zeigt auf Puck.

Puck und Elli sehen sich fragend an. 

"So grün?", fragt Elli.

Puck schaut sein eigenes Fell an. "So schlimm ist es doch gar nicht. Ich kann das aber auch wieder abwaschen, ehrlich. Das ist in echt eher braun..."

Elli versteht ihn, doch für die junge Frau klingt es wie ein leises Geheul.

"Nein, so, so, so ... süß!", sagt sie, und viele Tränen kullern jetzt über ihr Gesicht.

Puck pustet erleichtert.  "Phu, ich dachte schon, ich habe was falsch gemacht. Aber das geht ganz leicht, so zu sein wie ich...", und Puck hopst vor ihr hin und her, zeigt sich von allen Seiten und macht Faxen, bis sie endlich lachen muss. Nun lacht und weint sie gleichzeitig. Na sehr schön.

Vorsichtig stupst er ihre Hand an. 

"Kannst du ihr sagen, dass wir auch was spielen können, wenn sie fertig ist mit weinen?",

bittet Puck Elli.

"Das ist Irina, und ich denke, das kannst du ihr auch alleine sagen." 

"Aber sie kann mich doch gar nicht verstehen, wie soll das gehen?", mosert Puck.

"Das schaffst du schon, versuch es nur", sagt Elli, und reicht Irina ein Taschentuch.

Puck flitzt los und durchwühlt seinen Spielzeugkorb. Bald kommt er mit seiner Lieblingskuscheldecke zurück, legt sie vor Irinas Füße und starrt abwechselnd die Decke und Irina  an. 

Als die beiden kurz darauf kichernd und knurrend um die Decke rangeln, nimmt Elli ihr Strickzeug wieder auf. 

Das habe ich nicht kommen sehen, denkt sie lächelnd bei sich.

Vielleicht sollte ich mal eine grüne Jacke stricken, und nicht immer nur Blaue.

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Irina (Mittwoch, 25 Oktober 2023 22:29)

    Ich weine und lache gleichzeitig. Schon wieder. Vielleicht muss ich anstatt nur grün etwas blaues stricken. ❤️

  • #2

    Liane (Freitag, 27 Oktober 2023 16:19)

    So zauberhaft geschrieben ♥️